Text / Grégory Liechti
Es ist eine ruhige Nacht im Pazifik. Ich bin alleine am Ruder. Auf halber Strecke zwischen den Fidschi- und den Tonga-Inseln, lasse ich meine Gedanken schweifen. Die Crew schläft.
Welche Rolle spielte bei allem, was ich erlebte, das Glück, das Schicksal, der Wille?
Eine mehrmonatige Reise nach Japan hatte sich zu einem berauschenden Abenteuer rund um die Welt verwandelt. Ich knüpfte an die mystische Tradition der Reise mit dem Rucksack an, mit der Freiheit als Kompass und dem Absoluten als Horizont. Grenzen und Zeitgefühl wurden immer undeutlicher … meine Reise sollte fünf Jahre dauern.
Die Skizze eines Traumes
Für jemanden, der einen wachen Geist und ein waches Herz besitzt, genügt ein Funke, um dem Konformismus, dem bequemen Materialismus unserer Gesellschaften zu entfliehen.
Dieser Funke war das 7sky-Interview 2008 mit Xavier Rosset, der 300 Tage alleine auf einer einsamen Vulkaninsel verbringen sollte. Seine Fluchttriebe auf später verschieben – ein Fehler, den ich nicht mehr machen durfte!
Ich fliege los zum leichtesten und tiefsten Pulverschnee der Welt, nach Japan, um dort meine Leidenschaften zu unterrichten: Ski, Snowboarden und Tiefseetauchen.
Die Legende des Schnees ohne Boden offenbart sich in ihrer ganzen Pracht. Mehr als 22 Meter in jenem Winter; der Schnee reicht bis zu den Hüften und peitscht die Brust und das Gesicht mit großen Hieben. Die Sonne hat hier keinen Platz. In der Ferne erkennt man Sibirien, das einen konstanten Strom eisiger Stürme über das Japanische Meer ausspuckt.
Eine schöne Begegnung durchkreuzt den Plan meiner Rückkehr nach Europa. Sie überredet mich, ihr nach Australien zu folgen. Das Abenteuer beginnt und offenbart mir, wonach wir uns alle sehnen: teilen, lieben.
Die Idylle sollte intensiv und kurz zugleich sein. Ich komme alleine und ziellos in jenem Land an, das in meinen Augen überhaupt nichts Anziehendes hat. Eineinhalb Jahre später bin ich vollständig in dieses Land verliebt und versuche, die Staatsbürgerschaft zu erhalten!
Das Land des Unerwarteten
Ein Unbekannter, wir tauschen ein paar Sätze aus, und noch am gleichen Abend brechen wir zur Durchquerung der australischen Wüste auf. Unsere Wege sollten sich erst 6.000 km weiter trennen. Plötzlich ruft mich erneut die Kühle des Ozeans. Das Barriere-Riff offenbart die empfindliche Schönheit seiner überschwänglichen Meeresfauna; es wird den Sommer über mein Zuhause als Tauchlehrer sein.
Die wenigen Berge der südlichen Gefilde sind jetzt mit Schnee bedeckt. Ich reihe dann die Skiaisonen aneinander, indem ich dem Winter von einer Halbkugel zur anderen folge; zuerst hier, dann in Kanada und schließlich in Neuseeland, wo ich ein Jahr lang bleibe. Eine Maori-Familie bringt mich unter und führt mich in die Kultur jener ein, die früher diese bezaubernden abgelegenen Gegenden besaßen und gleichzeitig wird ein Traum Wirklichkeit: Vor Kaikura begleite ich das Schwimmen mit Delfinen, mit Gruppen bis zu 500 Tieren.
Erneut ruft mich das Meer und entführt mich auf die Fidschi-Inseln, in der Hoffnung, dass meine Tour dann mit dem Segelschiff weitergeht. Ein Pirat kreuzt meinen Weg und heuert mich als Schatzsucher in einem der letzten bekannten Königreiche, den Tonga-Inseln an. Dort entdecke ich die echte Welt der Abenteurer, die nach Legenden und Geheimnissen riecht.
Wir werfen den Anker, um unser Base Camp auf einer winzigen einsamen Insel zu errichten, die uns der Prinz von Tonga geliehen hat und von wo aus wir die leuchtenden Meeresgründe nach den berühmten Manila-Galeonen absuchen. Umgeben von Korruption und dunklen Wracks lande ich direkt in einem Comic mit Corto Maltese! Die Buckelwale haben in diesen Gewässern ihr Paradies gefunden. In meiner Freizeit schnorchle ich in Begleitung dieser Meeresriesen, berühre ihre majestätischen Flossen und genieße das absolute Glück ihres Gesangs und ihrer Blicke.
Fünf Monate sind vergangen. Das Glück war uns nicht hold; also Kurs auf Tofua, die einsame Insel von Xavier! Oktober, unser Schiff ist das erste, das in diesem Jahr hier anlegt; seine Hütte steht immer noch und erinnert mich daran, dass seine Expedition eine Quelle der Inspiration für mich war.
Umweg über Vanuatu, um drei aktive Vulkane zu erforschen. Eine von saurem Regen und giftigen Wolken verwüstete Mondlandschaft offenbart die Höhle des Teufels: ein riesiger Krater mit brodelnder und rauchender Lava. Mit ohrenbetäubendem Lärm schlägt das Magma aneinander. Ein hypnotisierender Anblick.
Den Winter verbringe ich in Japan, aber meine Familie und meine Freunde fehlen mir sehr. Nach fünf Jahren brauche ich einen Besuch der Schweiz, aber ohne Flugzeug! Mit dem Schiff reise ich nach China, zu Jian, einer unerschrockenen Schatzjägerin, die ich auf den Tonga-Inseln getroffen habe und die unsere eigenartigen Leben durch eine innige Dimension bereichert hat. Wir durchqueren das Land mit dem Zug und reisen dann weiter durch die Wüste Gobi, durch die geheimnisvolle und jahrhundertealte Mongolei, wo uns die Nomaden in ihren Jurten empfangen. Weiter geht die Reise bis zum Baikalsee in Sibirien, von wo aus wir mit einer erstaunlich ruhigen, authentischen und gemütlichen transsibirischen Eisenbahn in Richtung Moskau fahren. Und wir kommen in der Schweiz an … mit dem Bus!
Diese Odyssee war weit mehr als eine Reise, sie hat Traum und Wirklichkeit vereint, mir ein neues Verständnis der Dinge und meiner selbt gegeben. Eine neue Geburt rund um die Welt, ohne mögliche Rückkehr zu einem normalen Leben, die Existenz erhält einen neuen Sinn, aber der Gral ist noch fern und wird es immer sein … zum Glück!