Von Martin Luchsinger
Fruition ist ein Film über Nicolas Müller, der seinem Traum und seiner Bestimmung folgt seit er 11-12 Jahre alt ist. Von klein auf wollte er Snowboarder werden und seine große Frage war seit jeher: wie kann ich schützen was ich liebe und mich in meiner Berufung weiterentwickeln? Er vertrat schon damals die heutige Generation.
Was braucht mein Körper, wie ernähre ich mich, wo führt mich das Leben hin, welche Rolle spielt Snowboarden? Wie hat sich Snowboarden über alle diese Jahre verändert? Welche ist meine Rolle meinen Sponsoren gegenüber und welchen Einfluss habe ich auf die Produkte und die Art, wie sie produziert werden? Es ist ein Film, der eine Message in die Welt trägt, die weit über das Thema Snowboarden hinausreicht. Es ist eine Einladung, sich darüber Gedanken zu machen, wie man seine Zeit verbringt und Dinge angeht. In einem Turn von Nicolas sehe ich das Resultat von allem, was ihn befruchtet und beeinflusst hat.
Schritt für Schritt offenbart sich in Fruition eine Richtung, die sich gut anfühlt. Unsere heutige Gesellschaft ist noch immer stark leistungsorientiert, man denkt in Resultaten und wie man diese am besten und schnellsten erreichen kann. Doch der Weg ist das Ziel! Neugierig und offen für das sein, was uns auf unserem Weg begegnet.
Mein eigenes Leben hat auch viel mit Begegnungen zu tun, mit Freunden, die mich anstacheln und motivieren. Mir gefällt Nicolas’ Story so sehr, weil er auch oft gegen den Strom geschwommen ist. Als er verkündete, er wolle Snowboarder werden, sagte ihm sein Umfeld, das geht nicht, das ist doch kein Beruf! Nicolas hatte ihn aber tief in seinem Inneren für sich entdeckt.
Er wollte in den Bergen leben, tagtäglich ihre Energie tanken, sich ihnen hingeben. Die Menschen haben ihn schräg angesehen, und ihn nach seiner Altersvorsorge gefragt!? Damit sprachen sie eigentlich nur ihre eigenen Ängste gegenüber jemandem aus, der sein Leben in die Hand genommen hat. Ein freies Leben, das nicht von Gesellschaft und Erziehung geprägt wurde. Nicolas wusste, dass er das kann. Mit diesem Willen hat er weitergemacht und er hat es geschafft. Alle, die ihn in seiner Karriere verfolgt haben, erkennen in ihm einen wunderbaren Botschafter dieses Sports, und man hört ihm gerne zu. Für die Japaner ist er einer der aller grössten Weltstars, einfach weil er es genau so macht wie er es macht, in seinem Stil. Ich weiß zwar noch nicht genau, was mit unserer heutigen Generation geschehen wird, aber ich glaube, dass sie hier ist, um alles zu sprengen! Sie wartet nicht mehr, bis etwas passiert, sondern nimmt die Sachen selbst in die Hand. Sie ist sehr direkt, sagt, was sie mag und was nicht. Sie steht auch zu Dingen, ist anderen Menschen gegenüber offen und verfügt über eine sehr große Akzeptanz. Nicolas besitzt die Natur dieser Generation, die jetzt am Drücker ist. Er war und ist wie ein Vorbote für das, was jetzt geschieht.
Als ich 11 Jahre alt war, haben sich meine Eltern scheiden lassen. Ich rutschte ungewollt in die Rolle der ältesten männlichen Person im Haushalt. Vieles war mit Angst verbunden, weil wir ständig von allen möglichen Ämtern beobachtet wurden. Seit ich klein war hatte ich immer Pläne und Wünsche. Ich habe immer schon instinktiv gespürt was kommen könnte und versucht, dies auszuleben. 1988, als ich 13 Jahre alt war, fuhr ich in jeder freien Minute Skateboard, habe Punk und Rap Platten gehört, schnitt meine Haare selbst und färbte sie. Ich führte einen persönlichen Kampf um genau das zu machen, was sich echt anfühlt. In einer Umgebung ohne Vater und Vorbildrolle, und einer überaus liebenden, kreativen und respektvollen Mutter, die von allen Seiten bedrängt wurde und der ‚Verurteilung’ der Gesellschaft unterlag. Ich war sehr gut erzogen, freundlich und anständig, verlangte aber auch nach Andersartigkeit. Dinge aus einem anderen Blickwinkel anzusehen und aus der Gesellschaft auszubrechen. Ich glaube, dass viele Menschen von meiner Generationen davon noch Wunden tragen, die jetzt am Verheilen sind.
Mit 18 Jahren startete ich meinen Job bei Beach-Mountain. Was mir viele Türen geöffnet hat. Der Shop war innovativ und lancierte immer wieder neue Trends. Ein Segen für jemanden wie mich, der damit alles verbinden konnte was ihm gefiel. Ich durfte Ideen einbringen, als Trendscout in die Staaten, brachte Magazine heraus, veranstaltete Contests und feilte am Design und am Auftritt des Ladens, in dessen Mittelpunkt immer die Menschen und der Austausch stand.
Als ich mich entschied, meine Fantasien durchs Filmen auszudrücken, war auch dies ein mutiger Schritt und ein roher Prozess. Ich durfte herausfinden, für was ich wirklich einstand und was mir Freude bereitet. Dabei schälte sich immer mehr heraus, dass meine Sensibilität als Stärke galt, dass diese als solche akzeptiert wurde und meine Projekte genau diese Qualität von mir forderten. Heute darf ich mit viel Herzblut für Menschen und Firmen arbeiten und meine Arbeit wird geschätzt.
Fruition ist mein Traumprojekt. Weil man in jeder von Nicolas’ Fasern erkennen kann, dass er alles was er tut, so gerne macht. Er folgt nicht irgendeinem coolen Trend, sondern macht, was ihm gefällt, hat Freude an den Anderen. Und uns verbindet eine gemeinsame Geschichte, da er sein erstes Skateboard bei mir gekauft hat und wir daraufhin nicht nur gemeinsam skaten gingen, sondern auch zu Freunden fürs Leben wurden. Unsere Produktionscrew, die hauptsächlich aus Skateboardern besteht, ist voll von Menschen mit Talenten und Fähigkeiten, deren erste Priorität die Gemeinschaft und Freundschaft ist. Gemeinsam mit Sean Fee, der vor 4 Jahren von San Franzisko in die Schweiz gezogen ist, führen wir die Regie, teilen und schleifen an der Vision des Films. Unsere Hauptmotivation bei Fruition besteht darin, den Menschen aufzuzeigen, dass man vieles machen kann, wenn man sich ihm ganz hingibt, mit dem gesamten Bewusstsein, seinem ganzen Herz – Step by Step. Es soll ein Film sein, der Personen auf Augenhöhe dazu einlädt, ihrer eigenen Intuition zu folgen.
Nicolas bringt das sehr gut rüber. Er erinnert mich hier auch stark an Tim Brauch, der erste professionelle Skateboarder, mit dem ich viel Zeit verbracht habe. Er sagte mir eines Tages, „Martin, schreib’ dich in alle Disziplinen des Contests ein, egal, was dabei rauskommt“. Street, Bowl, Miniramp, Vert, wenn es einen Slalom gegeben wäre ich auch da mitgefahren. Er war einfach da, um Skaten zu promoten, um zu zeigen, wie cool und einfach das ist. Just do it, ohne Berührungsängste, Allüren oder Leistungsdruck. Das war sein Job. Und seine Art war so ansteckend. Seine Freude am Skaten hat alle mitgerissen! Genau wie es Nicolas tut: Mach einen Kopfsprung in den Tiefschnee, fahr den ganzen Tag einfüssigen Switch oder übe einen Grab, Hauptsache, du machst was du willst.
Was ich an Nicolas neben seinen snowboardenden Fähigkeiten bewundere, ist seine Präsenz, die man in allen Bereichen seines Lebens spürt. Den Respekt, den er allen gegenüber zeigt, und, dass er trotz seinem großen Erfolg auf dem Boden geblieben ist und so simpel weiterlebt.
In diesem Film sind 15 Jahre aus Nicolas’ Karriere zusammengetragen. Unveröffentlichte Arbeiten und Neuinszeniertes, in Zusammenarbeit mit einer zusammengewürfelten Crew aus den unterschiedlichsten Orten dieser Welt. Ich bin dankbar, dass meine Wurzeln im Skateboarden und Snowboarden liegen, Snowboarden immer wieder neu entdecken zu dürfen und Teil dieser Generation zu sein, die diese Richtung eingeläutet hat, die man auch „Fruition“ nennen kann!