Text: Johannes Czwalina
Erfolgreiche Bewältigung von Transformationsherausforderungen. Die ruhige Stimme eines klugen alten Mannes
von 1989 bis 1994 Staatspräsident der Republik Südafrika, in Kapstadt am Mittwoch, 22. 3. 2017.
De Klerk hat Friedensgeschichte geschrieben. Die Auswirkungen seiner Rede im Februar 1990 haben Südafrika von Grund auf verändert und von einem Apartheits-Staat in eine echte Demokratie verwandelt. Im Gespräch erfährt Johannes Czwalina, was de Klerk im Rückblick betrachtet für die wesentlichen Schritte hält, die zum Erfolg eines der schwierigsten Wandlungsprozesse in jüngster Geschichte geführt haben. Was können wir heute, nach über einem viertel Jahrhundert, davon lernen?
Ohne Gerechtigkeit kein Frieden
Gerade angesichts der heutigen Desorientierung und Unsicherheit in vielen Bereichen unseres Lebens beschäftigt uns die Frage, wie de Klerk es geschafft hat, aus einer politischen und familiären Tradition auszubrechen und eine 180-Grad-Kehrtwende um zu vollziehen, um Frieden zu stiften.
Er erzählt, wie er zu der Überzeugung gelangt war, dass das Regime der Apartheid jeglicher Gerechtigkeit entbehrte und dass es ohne Gerechtigkeit keinen Frieden und keine echte Demokratie geben kann. Hat er wirklich nicht, wie Nelson Mandela oft behauptet hat, aus rein opportunistischen Gründen gehandelt? Seine Erklärung, dass er aus Überzeugung gehandelt habe, ist glaubwürdig, weil er einen so langen, schwierigen und auch zermürbenden Weg nicht hätte gehen können, wenn er nicht rückhaltlos von der Notwendigkeit seines Handelns überzeugt gewesen wäre. Er wollte keine Reformen des Status quo, kein Flickwerk, sondern er wollte ein anderes, ein neues Südafrika schaffen, in dem nichts mehr so war, wie es seit über hundert Jahren gewesen war. Er wollte dem Land eine neue Verfassung geben, freie Wahlen auf der Basis von „one man one vote“ durchführen lassen, das heißt Wahlen, bei denen jeder Südafrikaner, ob schwarz, ob weiß oder farbig seine Stimme abgehen konnte. Er wusste ganz genau, dass er damit das Ende seiner politischen Laufbahn vorzubereiten begann. Die Risiken waren groß, denn aus heutiger Sicht betrachtet, wäre es durchaus möglich gewesen, dass sich ein Bürgerkrieg, wie wir ihn heute in Syrien erleben, entwickelt hätte.
1 | Die bedingungslose Anerkennung der Notwendigkeit von Veränderungen
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen friedlichen Wandel ist die bedingungslose Anerkennung der Notwendigkeit von Veränderungen. Das setzt eine sorgfältige Analyse der Gesamtsituation voraus. Sie betrifft nicht nur die eigene Lage, sondern hauptsächlich die des Gegenparts. Ohne das grundlegende Verständnis der Gegenposition sind Gespräche, die Frieden zum Ziel haben, nicht möglich. Auf die südafrikanische Situation bezogen war es von grundlegender Bedeutung, dass de Klerk und seine National Party, die Partei der regierenden Weißen, sich darüber klar wurden, dass die Apartheid unakzeptabel, ungerecht und falsch war.
2 | Umsetzungswille und Glaubwürdigkeit
Ist diese schwierige Aufgabe erledigt, sind Wille und Glaubwürdigkeit gefragt. Wille und Ausdauer, um nicht auf halber Strecke die Kraft zu verlieren und Glaubwürdigkeit, die durch Ehrlichkeit erlangt wird. Ein politischer Führer ist nur dann glaubwürdig, wenn er seine Position mit Ehrlichkeit vertritt. Nur dann wird er die Unterstützung seiner Anhänger auf Dauer nicht verlieren.
Man spürt, einem Menschen gegenüberzusitzen, der mit Freundlichkeit und Offenheit ein großes Geheimnis gelungener Politik verrät.
3 | Konsequenzen ziehen, Risiken abwägen und zügig handeln
Nachdem de Klerk nach reiflicher Analyse der Fakten und der Situation allgemein zu der Überzeugung gelangt war, dass echte Demokratie ohne Gerechtigkeit nicht möglich ist, musste er an der Schaltstelle der politischen Macht auch die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis ziehen. Er musste sich eingestehen, dass sich das Land in einer tiefen, existenziellen Krise befand und er musste bereit sein, ein großes Risiko einzugehen, wobei das größte Risiko oft darin besteht, nicht das Risiko des notwendigen Wandels einzugehen. Schließlich kam es darauf an, schnell zu handeln, das heißt, auf der Welle der Geschichte zu reiten, als sie brach.
4 | Ohne Vision kein Wandel
Das kann ein schwieriger, oft halsbrecherischer Ritt sein. Es ist daher wichtig, nie das Ziel aus den Augen zu verlieren. Aus diesem Grund ist der Wandel nicht ohne Visionen für eine bessere Zukunft möglich. Eine Vision gibt die Richtung und das Ziel des Handelns vor. Ohne Vision haben wir keine Vorstellung davon, wohin wir gehen und wie weit wir kommen wollen.
5 | Starke und respektvolle Verhandlungsführung
Zweifellos war de Klerk nicht der Einzige, der die Vision einer besseren Zukunft hatte. Auch die Gegenseite hatte Ziele. Sie hatten alles zu gewinnen, die weißen Afrikaner hingegen alles zu verlieren. In dieser Situation ist Verhandlungsgeschick und „strong leadership“ auf beiden Seiten gefragt.
In Mandela hatte de Klerk einen harten, aber fairen Gegenspieler gefunden. Beide folgten dem Grundsatz, dass sie das gemeinsame Ziel zum Wohl des Landes, das beide als ihr eigenes liebten, nur mit Respekt vor der Position und den Überzeugungen des anderen erreichen konnten.
Sie hörten einander aufmerksam zu und schafften es jedes Mal, alle Parteien wieder an den gemeinsamen Tisch zurückzuholen, wenn die Verhandlungen ins Stocken gerieten oder die eigenen Leute die Gefolgschaft verweigerten und sich abseits der Wege eines friedlichen Wandels bewegten.
Natürlich spielen auch Zufälle und Glück eine Rolle, ebenso wie das besondere Charisma der einzelnen Beteiligten – und mit letzterem war Mandela mit Sicherheit in ganz besonderem Maße ausgestattet. Aber auch er hätte ohne seine ihm eigene Willensstärke, Ausdauer und Glaubwürdigkeit seine Unterstützer nicht so lange auf dem schwierigen Weg hinter sich scharen können.
Was blieb? | Südafrika heute
Ist wirklich alles gut gelaufen vor über 20 Jahren? Heute fühlen sich viele Schwarzafrikaner von ihren damaligen Vertretern verraten. Es sind noch viele Fragen ungeklärt. Sie betreffen vor allem die Besitzverhältnisse. Noch immer besitzen die Weißen, die politisch nichts mehr zu sagen haben, überproportional viel Land. Wenn das Problem gerecht gelöst werden sollte, dann dürften die Weißen nur rund 8 Prozent des Landes besitzen. Dann müssten alle großen Farmen und Weingüter nach der derzeitigen Gesetzgebung vom Staat abgekauft werden. Aber die bereits verstaatlichten Wirtschaftsbetriebe funktionieren meist schlecht und das Land leidet unter einer viel zu hohen Arbeitslosigkeit.
De Klerk bedauert, dass das Land unter der Regierung von Präsident Zuma wieder in eine tiefe Krise geraten ist. Der Korruption wurden alle Tore geöffnet, die Arbeitslosigkeit ist wieder auf alarmierend hohem Stand und die soziale Ungleichheit ist nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch innerhalb der beiden Gruppen inakzeptabel hoch. Das hat seine Ursache sicher auch in dem geringen Erfolg, die das Bildungswesen erzielt hat, obwohl sehr viel Geld dort investiert wurde.
Wenn die Bildung und Erziehung der Kinder vernachlässigt wird, werden immer weniger Menschen
für einen friedlichen Wandel gewappnet sein. Es verheißt nichts Gutes, wenn ganze Generationen aufgrund von Bürgerkrieg und Terror ohne Bildung heranwachsen.
Was wir im Jahr 2017 aus den Erfahrungen Südafrikas lernen können
De Klerks ruhige und unaufgeregte Stimme wirkt ermutigend. Sie zeugt davon, dass friedlicher Wandel auch in einer Zeit der Desorientierung möglich ist. Er ist lebendes Zeugnis dafür, dass ein Wandel mit kühlem Kopf und mitreißenden positiven Visionen möglich ist
Die Herausforderungen sind heute mit Sicherheit nicht geringer als damals: Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Verschwendung von Ressourcen, die Flüchtlingsproblematik und auch die Probleme einer zusammenwachsenden Welt, in der Menschen mit unterschiedlicher Kultur, Religion und Glauben um ein harmonisches Zusammenleben in ein und derselben Gesellschaft kämpfen.
Auf die Lage in Europa und den rechtspopulistischen Bewegungen angesprochen, äußert sich der Altpräsident Südafrikas zutiefst besorgt. Er kann allen Politikern ebenfalls nur zu einer grundlegenden Analyse der jeweiligen Situation raten. Dazu gehört auch, dass sie verstehen müssen, warum sich die Menschen mit einem Mal nach rechts wenden, wobei Verstehen nicht bedeuten soll, Verständnis zu zeigen, sondern verstehen, um zu wissen, wie die Politiker und auch die einzelnen Menschen dem Phänomen begegnen sollen.
De Klerk als der begeisterte Golfspieler wird überlegt und ruhig jeden Schlag überdenken und genau berechnen, wohin der Ball fliegen soll – aber auch bei ihm kann ein Ball das avisierte Loch verfehlen. Dann sind Ausdauer und Wille gefragt, um nicht vorzeitig aufzugeben.
Der Charismatiker und Hobbyboxer Mandela ist ganz anders vorgegangen und auch bei ihm war nicht jeder Schlag ein Treffer. Ohne Wille und Ausdauer hätte vor allem er in seinem extrem schwierigen Leben sein Ziel, ein von seinen rechtmäßigen Besitzern regiertes Land, nicht erreichen können.
Ganz zum Abschluss möchten wir noch wissen, ob zwischen beiden Männern, nachdem sie die Politik verlassen hatten, ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt habe. Er bejaht unsere Frage. Sie hätten sich gegenseitig mit ihren Ehepartnern besucht und es sei das Gefühl von Wärme entstanden. Folgende Geschichte erzählt er zum Beweis:
Eines Tages rief Mandela bei ihm an: „FW“ – so nennen ihn alle Freunde – „ich brauche deine Hilfe. Wir haben ein Projekt und brauchen Geld, kannst du mir helfen die Türen zu deinen weißen Partnern zu öffnen, damit sie uns das benötigte Geld spenden?“ Selbstverständlich antwortete dieser, „das kann ich gerne tun. Aber wir haben hier in unserer Stiftung Projekte, für deren Finanzierung wir Geld auch von deinen Unterstützern bräuchten.“
Gemeinsam beschlossen sie, eine Liste möglicher Sponsoren zusammenzustellen, bei denen sie anschließend gemeinsam vorstellig wurden und um Unterstützung für ihre Projekte baten.
„Wir hatten riesigen Erfolg. Das als Beweis unserer Verbundenheit.“
Eine Geschichte über zwei Männer, die nicht unterschiedlicher sein konnten und doch mit gegenseitigem Respekt, mit Glaubwürdigkeit, Wille und Ausdauer ein großes gemeinsamen Projekt verwirklicht haben.